5. Eintrag (8. Januar)

Ein neues Jahr ist angebrochen. Ich muss sagen, dass mir Silvester dieses Mal gar nicht wirklich viel bedeutet hat. Möglicherweise liegt es daran, dass ich mit ein paar Freunden um 0 Uhr bei Minusgraden am Strand des Lake Michigan stand und es so unverschämt windig war, dass wir die Wunderkerzen erst im Dixi-Klo an bekommen haben. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich meine innere Uhr eher auf mein Jahr in den USA fokussiert und ich deshalb den Jahreswechsel gar nicht als Ende beziehungsweise Anfang von irgendetwas sehe, sondern eher als ein Mittendrin im Auslandsaufenthalt. So gesehen hat mein aktuelles Jahr quasi am 7. August angefangen und endet am 9. Juli. Erst dann beginnt für mich ein neues Kapitel, ein neues Jahr.

Ich habe trotzdem versucht, mein 2024 etwas Revue passieren zu lassen. Eine Erkenntnis, die schon ziemlich direkt am Anfang der Reise den Weg in meinen Kopf gefunden hat, ist, dass die Welt irgendwie wesentlich kleiner ist, als ich ohnehin schon dachte. Oder besser formuliert: Wir Menschen haben uns die Welt klein gemacht und zwar mithilfe von Flugzeugen. So ein Kontinent wie Amerika wirkte auf mich immer schon nahezu unerreichbar, weil es so weit weg erschien. Fast schon, als wäre es auf einem ganz anderen Planeten und als müsste man Tage oder gar Wochen einplanen, nur um dorthin zu gelangen. Nun, früher war dem auch so, aber heutzutage dauert es 9 Stunden und schon ist man drüben. Das klingt zwar auf den ersten Blick viel, aber das ist nicht einmal ein halber Tag! Zwar hatte ich auch vorher schon großes Fernweh, aber mir ist jetzt erst bewusst geworden, wie wenig zeitaufwendig der Weg selbst zu fernen Orten eigentlich ist. Diese neue Erkenntnis kann man aber auch super auf kleinere Entfernungen anwenden. Zum Beispiel bin ich im September für ein Wochenende herüber nach Denver, Colorado geflogen. Mal eben für ein paar Tage von der Ostküste des Landes in die Mitte. Dieses „mal eben“ waren 4,5 Stunden Flugzeit! Und es hat sich absolut gelohnt. Warum macht man so etwas nicht viel öfter? Von Deutschland aus könnte man in 4,5 Stunden Flugzeit beispielsweise schon in Ägypten sein. Warum nicht anstatt eines großen Jahresurlaubs einfach mehrere kleine Wochenend-Urlaube machen? Mal eben für drei Tage Städte wie London, Madrid oder Oslo besichtigen, kommt mir nun viel lohnenswerter vor als vorher.

So, genug abgedriftet! Ich sollte mich in diesem Eintrag mal wieder mehr auf die USA konzentrieren. Mit welcher Thematik ginge das besser als mit den amerikanischen Waffengesetzen? Dazu habe ich mich nämlich letztens mit Jim unterhalten. Jim ist der Partner meiner Gastmutter und ein super sympathischer, intelligenter und weltoffener Mensch. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie wir überhaupt darauf gekommen sind, aber seit dem Gespräch denke ich ein wenig anders über US-Bürger:innen, welche Waffen besitzen. Vorher habe ich es grundsätzlich kritisch hinterfragt, warum man sich hier eine Waffe zulegt, wenn man noch nicht einmal jagen geht. Noch weniger habe ich begriffen, warum manche Leute Waffen besitzen, obwohl sie sich sogar für ein nationales Waffenverbot aussprechen. Auch Jim gehört zu dieser Gruppe. Doch es ist nun für mich zumindest teilweise nachvollziehbarer geworden, denn seine Begründung dafür ist eigentlich recht simpel: „Ich möchte nicht der einzige ohne Waffe sein, während jeder Depp da draußen mit einer herum läuft!“. Und das kann ich tatsächlich verstehen, gerade mit Hinblick auf die hohe Kriminalitätsrate Baltimores. Gut, warum er dann zu Verteidigungszwecken unbedingt sieben(!) Stück braucht, sei mal dahin gestellt (ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht alle gleichzeitig bedienen kann).

Grundsätzlich hat mich meine Zeit hier also nicht plötzlich zu einem Befürworter der US-Waffengesetze gemacht, aber ein wenig muss ich die Amerikaner:innen dann doch in Schutz nehmen. Denn das Bild, was wir über jene haben, ist genauso verzerrt, wie, dass wir Deutsche in den Köpfen der US-Bürger:innen ausschließlich in Lederhose herumlaufen, dabei Bier trinken und Weißwurst mit Sauerkraut essen. Während wir in Deutschland davon ausgehen, es gäbe nur ganz wenige Ausnahmen in den USA, wo im Haushalt keine Schusswaffe zu finden ist, trifft dies tatsächlich in Wahrheit auf über die Hälfte der Haushalte zu. Wobei das natürlich auch wieder von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich ist.

Jetzt noch kurz zu mir! Mein Dezember war extrem aufregend. Nachdem das College geendet hat, stand der lang geplante und ersehnte New York Trip an. Es war wirklich ein Once-in-a-lifetime-Erlebnis, aber falls ihr auch mal überlegt, nach New York zu kommen, seid gewarnt: Da sind Menschen……viele Menschen………sehr viele Menschen! Ich habe normalerweise kein Problem mit großen Menschenmengen und selbstverständlich kann man in der berühmtesten Stadt der Welt auch nichts anderes erwarten. Dennoch wurden meine Erwartungen übertroffen. Vor allem am Times Square hat man den Boden vor lauter Menschen nicht mehr gesehen. Zugegeben war es allerdings auch ein Samstag während der Weihnachtszeit. Wieder zurück in Baltimore folgte Weihnachten, welches ich mit der Familie meiner Gastmutter zusammen gefeiert habe. In den Tagen/Wochen rund um Neujahr passierte dann etwas Ungewöhnliches. Zum ersten Mal offenbarten sich ein paar ruhige Tage. Weder geplante Events, noch ToDos standen an. Ok, keine ToDos ist übertrieben. Dinge wie Jobsuche, Organisatorisches klären oder einfach Haushaltskram begleiteten mich natürlich nach wie vor, aber trotzdem blieb genug Zeit, um einfach mal durchzuatmen und Schlaf nachzuholen. Ich nutzte die Zeit, indem ich meine frischen Koch-Skills weiter ausbaute, ein Buch las, meiner Gastmutter bei ihrem Puzzle half und im Schnee spazieren ging. Alles Dinge, die nicht sehr „typisch amerikanisch“ sind und welche man problemlos auch in Deutschland machen kann. Aber ich muss ja nicht jeden Tag etwas Aufregendes erleben.

Bis übermorgen geht es noch so weiter. Dann steht der Umzug in meine neue Gastfamilie an, worauf direkt das dreitägige Zwischenseminar unseres Austauschprogramms in DC folgt, wo alle 75 Stipendiat:innen erstmals seit der Ausreise wieder aufeinander treffen. Doch meine Zeit danach ist ehrlich gesagt noch ziemlich ungewiss. Ich habe meine neue Gastfamilie zwar schon kennengelernt und wir scheinen wirklich sehr gut zusammen zu passen, aber dennoch ist eine Eingewöhnungsphase immer anstrengend und erschöpfend und nimmt viel Zeit in Anspruch. Des Weiteren habe ich immer noch keine Ahnung, wo ich jobtechnisch landen werde, da ich bisher nach insgesamt 43 Bewerbungen sage und schreibe zwei Bewerbungsgespräche hatte, woraufhin aber auch noch keine Rückmeldung kam. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass auch meine zweite Jahreshälfte absolut positiv und aufregend verlaufen wird.