Nun sind sieben weitere Wochen vergangen. Ganz schön viel. Und nicht nur das, denn damit einhergehend sind auch zahlreiche College-Tage, mehrere Konzertbesuche, ein paar Volunteer-hours, viele College-Events, ein Baseball-Game-Besuch, zwei Midterm-Exams, ein Trip zu den Niagara Fällen, ein Wochenende in Boston und ein Interview mit dem WDR vergangen. Unfassbar, wenn man das mal alles auflistet! Und das alles in sieben Wochen (vielleicht doch nicht mehr so viel). Eigentlich wollte ich meinen nächsten Blog-Eintrag schon viel eher verfassen, aber ich bin schlichtweg nicht dazu gekommen und das ungünstige daran ist, dass es mit jedem weiteren Tag immer schwieriger wird, alles zusammenzufassen. Von daher habt ihr durch diesen Blog lediglich die Chance, nur einen kleinen Einblick in mein Leben hier zu bekommen und nicht ansatzweise den vollen Umfang zu erfahren. Es würde einfach vollkommen den Rahmen sprengen, wenn ich alles thematisieren würde, was ich hier so an Eindrücken sammele. Wie ihr merkt, hat sich also nicht wirklich viel am Stressfaktor geändert.

Was sich allerdings schon geändert hat, ist meine Einstellung gegenüber Freunde finden. Keinen Anschluss zu finden und damit einsam zu sein, war ja vor Abflug meine größte Angst, doch zu meiner eigenen Überraschung ist mir das mittlerweile gar nicht mehr so wichtig. Ich hätte sogar die Möglichkeit, etwas mit gleichaltrigen „Locals“ zu unternehmen. Wenn ich beispielsweise in die Chorgruppe fragen würde, ob jemand Lust hat, am Wochenende essen zu gehen, würde mit Sicherheit etwas zustande kommen, aber tatsächlich nutze ich die Chance gar nicht, weil ich zumindest aktuell nicht darauf angewiesen bin. Mir fallen drei verschiedene Gründe dafür ein. Erstens habe ich eh mehr als genug zu tun, weshalb alleine deswegen schon keine Einsamkeit aufkommt. Zweitens habe ich meinen Baltimore-PPP-Bro Julius an der Seite, durch den ich viele Events/Ausflüge gar nicht alleine machen muss. Der dritte und für mich wichtigste zu erwähnende Grund sind allerdings die handvoll wundervoller Menschen aus dem PPP, die mittlerweile mit zu meinen engsten Freunden geworden sind. Diese nehmen momentan einen ganz wichtigen Part in meinem Leben ein, nicht nur weil immer irgendwer abends für ein Telefonat zur Verfügung steht, während Deutschland bereits schläft. Nein, ich fühle mich auch abseits der Telefonate in deren Gegenwart (egal ob in der Realität oder virtuell) unglaublich wohl, kann einfach ich selbst sein und jederzeit auf deren Support und Ratschläge zählen. Außerdem bin ich mir mehr als sicher, dass diese Freundschaften nach Vollendung des Auslandsjahres nicht einfrieren, sondern noch viele weitere Jahre (vielleicht sogar für immer) mein Leben bereichern werden. Das sind wirklich in den letzten sechs Monaten ganz wichtige Menschen für mich geworden und deswegen verbringe ich lieber Zeit mit denen als mit den Amerikaner:innen, die ich hier so kennenlerne. Ich weiß noch nicht, wie sinnvoll diese Strategie wirklich ist. Könnte auch sein, dass es mir schon bald zum Verhängnis wird, weil ich mich dann doch nach mehr Freundschaften hier vor Ort in Baltimore sehne, aber stand jetzt fühlt es sich so wie es ist genau richtig an und das ist doch eigentlich alles was zählt.

Next topic: Politik! Zugegeben ein ziemlich drastischer Themenwechsel, aber ich möchte hier ja alles mehr oder weniger herunter schreiben, was in meinem Kopf vorgeht und da der Wahltag für die US-Präsidentschaft nur noch sage und schreibe sieben Tage entfernt ist, kommen wir nicht drum herum.
Es ist wirklich wahnsinnig spannend und ein absolutes Privileg, den gesamten Prozess von Anfang bis Ende hautnah miterleben zu dürfen. Ich habe mittlerweile schon die Gelegenheit gehabt, mit vielen sehr unterschiedlichen Leuten über dieses Thema zu sprechen, obwohl das tatsächlich eher untypisch ist. Die US-Bürger:innen sprechen nämlich im Alltag eher ungern darüber, da sie ganz genau wissen, wie unfassbar polarisierend dieses Thema ist. Wobei das wiederum nicht wirklich zu dem Fakt passt, dass man überall Wahlplakate und Pappaufsteller in privaten Vorgärten findet. Der Öffentlichkeit gegenüber gibt man also preis, wie man sich politisch positioniert, aktiv face-to-face darüber reden tut man aber nicht. Viele Expert:innen sagen, dass die Wahl und der Wahlkampf noch nie so knapp verlaufen sind und die USA noch nie gespaltener war. Die Menschen haben schlichtweg verlernt zu diskutieren und zu debattieren und auch mal andere Meinungen zuzulassen und zu akzeptieren. Sie sprechen also im Alltag nicht über das Thema, weil sie Angst haben, dass es Freundschaften oder im schlimmsten Falle sogar Familie zerreißen könnte. Dies schützt zwar vielleicht zwischenmenschliche Beziehungen, führt aber auch durch den fehlenden Austausch erst recht zu Polarisierung. Hier muss man aber auch anmerken, dass diese mangelnde Diskussionsfähigkeit auf der ganzen Welt zu beobachten ist, auch in Deutschland. Mit Blick zurück auf die Vereinigten Staaten weisen vor allem junge US-Wähler:innen eine Neigung zur Mitte auf, die es aber halt einfach nicht gibt. Wobei das nicht ganz stimmt. Es gibt tatsächlich mehr Parteien als nur die Republikaner und die Demokraten, welche aber so klein sind, dass sie mehr oder weniger als non-existent angesehen werden. Das Zwei-Parteien-System ist also für die aktuelle moderne Wählerschaft nicht gut geeignet (falls es das überhaupt jemals war).
Direkt daran anschließend ist die Sache mit den Swing States zu nennen. Ich habe mich mit einer Person unterhalten, die republikanisch wählt und sie äußerte Frustration darüber, dass ihre Stimme quasi wertlos ist, da Maryland kein Swing State ist und schon seit 1992 konsistent demokratische Wahlergebnisse erzielt. Und da ist mir erst so richtig klar geworden, dass es wirklich nur auf die Swing States ankommt. Ich kann ihre Frustration sehr gut verstehen. Ob die Republikaner hier in Maryland wählen gehen oder nicht, ist eigentlich egal, weil das Ergebnis eh blau ausfallen wird und da stelle ich grundsätzlich in Frage, wie demokratisch das Land wirklich ist, denn eine „wertlose“ Stimme hat für mich nicht hundertprozentig etwas mit wahrer Demokratie zu tun.

Das ist denke ich auch der Grund, warum man hier in Maryland viel mehr Pro-Trump-Plakate entdeckt als Pro-Harris-Plakate, da sich die Demokraten im Gegensatz zu den Republikanern gar nicht mehr bemühen, ihre Anhängerschaft zu vergrößern, weil sie eh gewinnen werden.
Den Wahlkampf an sich kann ich ebenfalls nicht unerwähnt lassen. Mir wurde schon früh in der Schule beigebracht, wie unglaublich wichtig eine unabhängige und unparteiische Berichterstattung innerhalb eines Staates ist. Von daher ist es für mich extrem ungewohnt und nahezu unbegreiflich, wie es hier Nachrichtensender geben kann, die sich ganz klar politisch positionieren und gerade jetzt während des Wahlkampfes den ganzen Tag nur gegen den anderen Präsidentschaftskandidaten feuern und nicht nur das, denn das könnte man ja in Deutschland fast noch als legal ansehen. Aus deutscher Sicht illegal wird es ab dem Punkt, wo bewusst versucht wird, die Zuschauer:innen zu manipulieren, indem Schnipsel aus Reden aus dem Kontext herausgeschnitten werden. Meine Host Mom ist sogar einen Schritt weiter gegangen und bezeichnet es als „brainwashing“. Jedoch sind die Nachrichtensender nicht die einzigen, die gezielt gegen den jeweils anderen Präsidentschaftskandidaten schießen. Der gesamte Wahlkampf ist generell nach dem Schema aufgebaut. Bei deutschen Wahlen versucht sich natürlich auch jeder Kandidat bestmöglich darzustellen und die anderen Parteien herunterzureden, allerdings bleibt es (fast) immer sachlich und geht nicht auf die persönliche Ebene über. Nicht einmal Politiker einer gesichert rechtsextremen Partei werden persönlich als Mensch angegriffen. Das ist hier definitiv anders! Es ist wirklich krass, wie persönlich und direkt Trump und Harris sich teilweise gegenseitig beleidigen. Wenn man sich beispielsweise die Wahlkampfvideos anschaut, stellt man schnell fest, dass der Name des Konkurrenten viel öfter fällt als der Name des eigenen Kandidaten.
Wie man merkt bin ich nicht wirklich ein Fan des amerikanischen Wahlprozesses und generell der US-Politik. Momentan habe ich fast schon ein schlechtes Gewissen, weil ich vielleicht ein bisschen zu negativ auf die Dinge blicke, die hier anders laufen als in Deutschland (auch abseits der Politik). Ich fühle mich etwas zu parteiisch und zu loyal gegenüber meinem eigenen Land. Wir haben im Vorbereitungsseminar im April viele Erfahrungsberichte von ehemaligen Teilnehmenden gehört und viele wurden früher oder später vom „american spirit“ gepackt und wollten nicht wieder weg. Diese Faszination teile ich zumindest bisher ehrlich gesagt noch nicht so wirklich. Während ich darüber nachgedacht habe, kam in meinem Kopf die Frage auf, ob diesen Stipendiumsplatz nicht eher jemand verdient hätte, der viel begeisterter von den USA ist als ich. Dann aber habe ich den Gedanken relativ schnell wieder verworfen, denn auch um Deutschland wieder neu lieben zu lernen und wertzuschätzen, ist dieses Austauschprojekt ja da. Versteht mich aber bitte nicht falsch. Ich habe hier eine tolle Zeit und erlebe unglaublich viele tolle Dinge und es gibt auch mehrere Aspekte hier zulande, wovon sich die Deutschen mal eine Scheibe abschneiden könnten. Diese Gelassenheit im Alltag, das bemerkenswerte soziale Engagement, der Zusammenhalt zum Beispiel unter Nachbarn und mehr. Es stimmt zwar, dass ich mich jetzt schon darauf freue, im Juli wieder in den Lufthansa-Flieger nach Frankfurt zu steigen, aber ich freue mich genauso sehr auf die verbleibenden USA-Monate mit garantiert vielen weiteren tollen Erlebnissen.