8. Eintrag (5. Mai)

In zwei Monaten und drei Tagen werde ich in die Boeing 747-8 steigen und Kurs in Richtung Heimat setzen. Komischer Gedanke, dass dann plötzlich alles hier endet und ich von mir selbst behaupten kann, ein ganzes Jahr in den USA gelebt, studiert und gearbeitet zu haben. Aber für jetzt schon das Trauern anfangen habe ich gar keine Zeit. Der Mai ist komplett überfüllt mit allem was ich noch bis zum Abflug gemacht haben will oder muss. Unter anderem kleinere Dinge wie einen zweiten großen Koffer für den Rückflug kaufen oder meinem Chef beichten, dass ich bald schon wieder kündigen werde. Aber auch größere Dinge wie einen Abschlussbericht für den Bundestag schreiben, die Klimaanlage meines Autos reparieren lassen, um dann anschließend einen Käufer dafür zu finden, mich auf mein zukünftiges duales Studium bewerben, Abschiedsgeschenke für diverse Leute besorgen, noch etliche Dinge für meine abschließende Reisezeit planen/buchen, natürlich noch finale Dinge auf meiner Bucketlist abhaken und noch vieles mehr. Nebenher arbeite ich selbstverständlich noch Vollzeit bei Aldi weiter und habe noch zwei spannende Events anstehen. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung wie ich das alles bis Mitte Juni schaffen soll, aber auf der anderen Seite ist es eigentlich auch ganz schön dekadent, auf so einem hohen Niveau zu meckern.

Wo wir gerade schon beim Stichwort Aldi sind: Eine ganz besondere Erkenntnis hat mir meine Jobphase hier beschert. Mir ist nämlich in den letzten Wochen aufgefallen, dass mich viele Kund:innen im Store ansprechen und fragen, ob ich ein Manager sei. Und sie wirken jedes Mal relativ überrascht wenn ich es verneine und auf meinen Kollegen verweise. Erst dachte ich, es liegt einfach an meiner Vliesjacke mit dem gestickten Aldi-Emblem und dem Walkie Talkie, welches ich nicht an meinen Gürtel stecke (wie die meisten meiner Kollegen) sondern in den Reißverschluss vor meine Brust hänge, damit es direkt in Sprechweite ist und ich nur noch auf den Push-To-Talk Button drücken muss. Ich kann mir vorstellen, dass das automatisch einen professionellen Look abgibt. Aber nachdem ich von einer Dame mal wieder für einen Manager gehalten wurde, sagte sie mir im Anschluss, es würde eher an meiner Ausstrahlung und Haltung liegen, wie ich durch die Gänge gehe, als würde mir der Laden gehören. Das hat mich sehr gefreut und mir gezeigt, dass es vielleicht doch nicht einfach nur Glück und Nettigkeit war, dass mein damaliger Chef mir vor zwei Jahren eine Teamleiter-Stelle anvertraut hat.

Eine weitere Sache, die ich aus meiner Zeit bei Aldi mitnehme, ist, wie wichtig ein regelmäßiges „Danke“ sein kann. Ich weiß nicht, ob es meinen Kolleg:innen genauso auffällt wie mir, aber am Ende eines jeden Tages bedankt sich der jeweilige Schicht-Manager immer bei mir für meine geleistete Arbeit. Mehr nicht, ein einfaches „Thank you for your work today“. Das alleine reicht aus, damit man sich wirklich wertgeschätzt und gut aufgehoben fühlt. Da es wirklich jeder Manager jeden Tag macht, gehe ich stark davon aus, dass diese auch entsprechend von Aldi geschult werden und es nicht unbedingt deren eigene Idee ist, aber das tut ja gar nichts zur Sache. Im Gegenteil! Das zeigt, dass nicht nur die Manager dankbar sind, dass man jeden Tag zur Arbeit kommt und seine Arbeitskraft einsetzt, sondern auch das Unternehmen dahinter. Und es zahlt sich aus! Ich fühle mich motiviert und komme gerne zur Arbeit. Auch meine Kolleg:innen erscheinen immer zuverlässig und pünktlich. Für einen Deutschen mag das eine absolute Selbstverständlichkeit und völlig normal zu sein, aber hier in den USA läuft das ein bisschen anders. Wie zum Beispiel bei Julius, der bei WholeFoods arbeitet (ein anderer Supermarkt) und mir davon erzählt hat, wie bei denen eigentlich in jeder Schicht mindestens eine Person unangekündigt nicht zur Arbeit kommt, manchmal auch wesentlich mehr. Ich kann als Außenstehender natürlich nicht beurteilen, woran es speziell bei WholeFoods liegt, aber Fakt ist, dass den Mitarbeitern offenbar die Motivation fehlt und dem kann man zum Beispiel schon mit einem kleinen „Thank you“ entgegenwirken.
Aber auch außerhalb der Arbeitswelt ist mir aufgefallen, wie viel wert hier in den USA darauf gelegt wird, regelmäßig „Danke“ zu sagen. Vor allem bei Rob und Kristy im Haushalt nimmt das einen großen Platz in der täglichen Kommunikation ein und ich finde das sehr inspirierend. Zum Beispiel macht Kristy in der Regel das Essen abends und Rob spült ab (ja, natürlich beteilige ich mich auch). Und obwohl sie schon ein so eingespieltes Team im Haushalt sind, wird sich jeden Tag aufs Neue einander bedankt. Das werde ich auf jeden Fall versuchen, mit nach Deutschland zu nehmen, denn es kommt im deutschen Alltag definitiv zu kurz.

Wo wir gerade schonmal bei Rob und Kristy sind: Aus irgendeinem Grund schaffen sie es, ein absolut unbeschwertes Leben zu führen und ich weiß nicht wie. Hat man nicht als Erwachsener immer irgendwelche Dinge zu erledigen? Bürokram, Rechnungen bezahlen, Post von Versicherungen in den Müll schmeißen, Friseurtermin, einkaufen, irgendetwas am Haus reparieren, aufräumen, all sowas halt. Nein, Rob und Kristy irgendwie nicht. Wenn Kristy von der Arbeit nach Hause kommt, zieht sie sich kurz um, macht sich einen alkoholfreien Drink……….und setzt sich an ihr Puzzle! Oder spielt mit dem Kater! Oder liest! Keine Termine, keine Verbindlichkeiten, nichts! Wie gesagt habe ich keinen Schimmer, wie die beiden das machen, aber ich wollte es einfach mal hier teilen. Vielleicht ist das ja eine Inspiration für den Zukunfts-Jannes, der in zehn Jahren mit beiden Beinen mitten im Leben steht und mit all seinen ToDos überfordert ist (als wäre es nicht jetzt schon so).

Jetzt habe ich viel über Aldi und über meine Gastfamilie erzählt, aber nicht so wirklich wie es meinem Gemütszustand momentan so geht und da muss ich auf den dritten Eintrag meines Blogs verweisen. Denn schon Ende Oktober habe ich darüber geschrieben, dass ich mir auf keinen Fall vorstellen könnte, langfristig hier in den USA zu leben und wie sehr ich mich schon wieder auf Deutschland freue. Die Einstellung hat sich um ehrlich zu sein bis heute nicht verändert. Mittlerweile weiß ich auch, wie mein Leben nach USA aussehen wird und ich freue mich wirklich riesig auf die anstehende Zeit. Ich habe viele großartige Dinge geplant und kann es kaum erwarten, meine Familie, meine Freunde und allgemein Deutschland wieder zu sehen. Ich bin so gespannt, wie sehr mich all die Veränderungen überwältigen werden. Ich werde endlich meine Nichte kennenlernen, die dann schon fast ein Jahr alt ist. Und mein Neffe wird mir sicher schon ein Ohr abbrabbeln. Wird mir mein eigener Schaltwagen plötzlich fremd vorkommen nach einem ganzen Jahr automatik? Wie viele Baustellen gab es in meiner Stadt? Wird es plötzlich deutlich anders aussehen? Wie haben sich meine Mitmenschen verändert? Und vor allem: Wie sehr werde ich mich wohl verändert haben? Ich freue mich wirklich darauf, meine eigene Heimat nochmal neu erkunden zu können.
Manchmal muss man von zuhause weg, um festzustellen, wie gerne man dort lebt und wie gut man es eigentlich dort hat.