9. Eintrag (30. August)

Hier sitze ich nun, keine 11254 Meter und auch nicht mit 904 km/h mitten über dem Atlantik, denn das war vor über einem Jahr. Stattdessen sitze ich hier zuhause im guten alten Geseke und verfasse meinen allerletzten Blog-Eintrag über mein USA-Abenteuer. Mittlerweile bin ich schon wieder 7,5 Wochen in Deutschland und sie verliefen teilweise anders als erwartet.

Aber zunächst erstmal noch zu meinen finalen zwei Monaten in den Staaten, denn den letzten Eintrag hatte ich am 5. Mai geschrieben und danach ist noch einiges passiert. Ich war zum Beispiel mit meiner Gastfamilie auf einem Konzert, habe unser Austauschprogramm auf dem Tag der offenen Tür der deutschen Botschaft in DC vertreten, habe am diesjährigen World Bank Group Youth Summit teilgenommen (Näheres dazu auf meinem LinkedIn Account), bin für die restlichen Wochen noch einmal umgezogen, hatte meinen letzten Tag bei Aldi, war im SixFlags New Jersey und dann war da natürlich noch die lang ersehnte finale Reisezeit. Was letzteres angeht kann man sich eine Menge Fotos auf insgesamt drei Posts aufgeteilt auf meinem Instagram Account anschauen. Kurz zusammengefasst gehören die letzten drei Wochen definitiv mit zu meinen absoluten Jahres-Highlights! Erst fünf Tage Miami und dann noch zwei Wochen zu fünft mit einem Camper durch Washington State, Idaho, Montana und Wyoming zu fahren, war einfach eine unfassbar schöne Zeit, die ich nie vergessen werde.

Dann noch ein paar Tage in Baltimore Leute verabschieden und schon war es soweit und es ging nach Hause. Der erste Zeitpunkt, an dem ich gemerkt habe, dass irgendetwas anders ist als sonst, war, als wir am Airport in DC in die Lufthansa-Maschine eingestiegen sind und wir von der Crew auf deutsch(!) begrüßt wurden. Dass meine Familie, Freunde und Bekannte deutsch mit mir sprechen war völlig normal, aber das wildfremde Leute plötzlich auch alle wieder deutsch sprechen, kam meinem Kopf sehr merkwürdig vor. Auch als wir dann in Frankfurt gelandet und aus dem Flieger gestiegen sind, haben ALLE Menschen um einen herum deutsch gesprochen und auch die gesamte Beschilderung war wieder auf deutsch! Was normalerweise absolut selbstverständlich ist, ist für mich tatsächlich bis jetzt noch sehr ungewöhnlich. Es passiert nach wie vor regelmäßig, dass ich hier in der Heimat durch die Stadt laufe, jemand telefonierend an mir vorbeigeht und in mir eine Stimme ertönt, die mir sagt: „Ach schau an, auch ein deutscher!“. Irgendwie ist das einfach immer noch drin. Abseits davon und anderen Kleinigkeiten, wie dass ich beispielsweise immer noch sehr oft Dollar und nicht Euro sagen will, ging die Wiedereingliederung aber deutlich schneller als erwartet. Ich glaube mittlerweile, ich bin einfach ein Mensch, der sehr anpassungsfähig ist und sich schnell in neue Umgebungen oder Situationen hineinleben kann. Eigentlich schon nach dem zweiten Tag wurde wieder alles sehr normal und es war schon gar nichts besonderes mehr, dass ich wieder hier bin, morgens wieder in meinem eigenen Bett aufwache und viele viele altbekannte Gesichter wiedersehe. Die ersten 48 Stunden hingegen waren aber schon noch ziemlich aufregend und turbulent. Zunächst wurde ich am Flughafen von meiner Familie empfangen und nach Hause chauffiert. Dort angekommen habe ich erstmal unser neues kleines vierpfötiges Familienmitglied kennengelernt. Kurz darauf machte ich mich auf nach oben in den Flur. Ich hatte mich sehr auf den Moment gefreut, mein eigenes Zimmer das erste Mal nach einem Jahr wieder zu betreten, doch als es soweit war, brach eine leichte Existenzkrise aus. Mein eigenes Zimmer fühlte sich irgendwie vertraut aber auch gleichzeitig fremd an. Ich schaute in meinen Kleiderschrank und mich guckten lauter Klamotten an, die zwar mir gehörten, welche ich aber ein Jahr lang absolut nicht vermisst habe. Spätestens da ging das Gedankenkarussell los! Meine gute Freundin und Sitznachbarin Charly und ich hatten uns während des Fluges gegenseitig extrem auf Deutschland hochgehyped. Wir konnten es wirklich kaum erwarten, alles wieder neu erkunden zu können, wieder mit Familie und Freunden vereint zu sein und so weiter. Und jetzt stand ich da in meinem Zimmer und wusste gar nicht wohin mit mir. „Wieso fühlt es sich nicht gut an, wieder zurück zu sein?“, „Wenn ich mich hier nicht zuhause fühle aber auch nicht in den USA, wo denn dann?“, „Wo ist mein Zuhause?“ „Hat es mir vielleicht drüben besser gefallen als ich es bisher angenommen hatte?“ und viele weiterer solcher Fragen schossen mir durch den Kopf. Hatten Charly und ich uns Deutschland vielleicht auf dem Flug etwas zu sehr idealisiert? Letztendlich lag die kleine Krise wahrscheinlich hauptsächlich am Schlafmangel, denn ich habe den gesamten Flug über nicht eine Sekunde geschlafen, was bedeutet, dass ich am Ende des Tages 35 Stunden am Stück wach war. Aber das hatte auch was gutes, denn während Charly in den ersten Tagen jede Nacht um drei Uhr aufgewacht ist und nicht mehr schlafen konnte, habe ich am ersten Tag bis abends ausgehalten, bin dann um halb zehn ins Bett gegangen, gefühlt innerhalb fünf Sekunden eingeschlafen und war damit in der neuen Zeitzone vollends angekommen. Am nächsten Morgen war ich ausgeschlafen und habe eine sehr gute Entscheidung getroffen: Ich habe einen Altkleidersack genommen und meinen Schrank ausgemistet! Fünf Minuten später war der Sack voll und mir ging es deutlich besser. Das hat sich verdammt gut und richtig angefühlt! Aber wie gesagt war ab da alles wieder sehr normal.

Und jetzt? Wie erwähnt bin ich nun schon seit 7,5 Wochen wieder hier und in der Zwischenzeit sind mir viele Kleinigkeiten aufgefallen, die endlich wieder so sind, wie ich sie kenne. Es wird wieder Euro benutzt, die Fenster lassen sich wieder ganz öffnen, die Türklinken lassen sich nicht mehr bis auf 6 Uhr herunterdrücken, die Türen öffentlicher Toiletten gehen wieder fast bis auf den Boden, der Wasserdruck ist hier interessanterweise grundsätzlich höher als in den USA, die Zahnpasta schmeckt endlich nicht mehr eklig, das Leitungswasser nicht mehr nach Chlor. Außerdem glaubt man gar nicht, was hier in Deutschland alles genormt ist. Ihr könnt euch nicht vorstellen wie froh ich war, dass das Klopapier hier endlich wieder unabhängig vom Hersteller gleich groß ist. Und auch die Papierzettel sind wieder lang und schmal und nicht etwas kleiner, dafür etwas breiter. Vor einigen Tagen sind die neuen PPPler:innen in die USA gestartet und erleben nun ihre individuelle Version dieses Abenteuers. Und während ich mir derzeit auf Instagram deren ersten Wochen anschaue, fällt mir ein guter alter Spruch ein: Das was man hat, das will man nicht und was man will, das hat man nicht. Das trifft in meinem Fall tatsächlich ziemlich gut zu. In den USA habe ich viel schlechtes über das Leben dort berichtet und dass ich es mir beim besten Willen niemals vorstellen könnte, da zu leben und ich mich ja schon wieder sehr auf Deutschland freue. Jetzt bin ich hier und genieße es zwar auch, aber so das ein oder andere Detail vermisse ich auf einmal doch irgendwie ein wenig.